Bericht in der Kirchenzeitung (Erzbistum Köln - Ausgabe 17/22):Pilgern auf dem Martinsweg


Und hier der Text zum Nachlesen:
Pilgern auf dem Martinsweg
Barrierearm oder aussichtsreich von Linz nach Neuwied
Ein "e" fehlt, andere Buchstaben haben Schieflage, doch die Botschaft der einst goldenen Schrift über dem Kreuz ist eindeutig: "Wanderer – vergiss den nicht, der dir all dies schuf." Mein Blick geht in die Weite gen Nordwesten: hinweg über die Häuser von Ariendorf, hinweg über den Rhein, diesen mächtigen Strom, der ziemlich genau in Blickrichtung rund 300 Kilometer Luftlinie von hier ins Meer mündet. "Vergiss den nicht, der dir all dies schuf." Und plötzlich ist es da, dieses Gefühl von Demut, von Ehrfurcht und Dankbarkeit, das mich auch auf meinen Pilgerwegen durch Frankreich so oft begleitet hat. Bis eben war es eine Wanderung, mehr Arbeit sogar als Freizeit, jetzt fühlt es sich an wie Pilgern. Endlich.
Ich bin unterwegs auf dem Martinsweg am Mittelrhein. Auf knapp 40 Kilometern verbindet dieser Weg die Kirche St. Martin in Neuwied-Engers mit der Kirche St. Martin in Linz am Rhein. In beide Richtungen ist die Strecke begehbar – in der Basisvariante auf einfachen, gut ausgebauten Gehwegen ist sie auch für Familien mit Kindern (samt Kinderwagen), für Pilger mit Gehhilfe oder Rollstuhlfahrer machbar. Von der Wegführung her attraktiver ist die (insgesamt 55 Kilometer lange) Alternativstrecke, die oft auf der Route des Rheinsteigs verläuft, entsprechend auf schmaleren Pfaden mit teils ordentlichen Steigungen, aber dafür auch herrlichen Ausblicken über das Rheintal.
Positiv: Beide Varianten begegnen sich an mehreren Orten, zum Beispiel in Ariendorf, Bad Hönningen, Rheinbrohl, Hammerstein oder Leutesdorf, sodass man sie auch nach Lust und Laune und Kondition kombinieren kann.
Negativ: Eine eigene Markierung gibt es für den Martinsweg leider nicht.
Die Initiatoren des Weges – konzipiert wurde er von einem Team um Pastoralreferent Volker Collinet und eingeweiht am 3. Oktober 2017 – haben sich aber alle Mühe gegeben, ihn im Internet so detailliert zu beschreiben, dass sich niemand verläuft. Wer eine Outdoor-App nutzt, kann sich im Vorfeld die gpx-Daten herunterladen, wer analog unterwegs ist, sich passende Kartenausschnitte ausdrucken. Und wer es sich gar nicht auf eigene Faust zutraut, kann ein paar Mitpilger gewinnen und das Angebot für eine geführte Tour annehmen (siehe Kasten unten).
Etappenplanung und innere Route
Auch wenn es für sportliche Pilger durchaus möglich ist, die (Basis-)Strecke an einem Tag zu gehen: Es lohnt sich, sie in Etappen einzuteilen, denn rechts und links des Weges gibt es wirklich viel zu sehen, und es wäre schade, nicht die nötige Zeit zum Verweilen zu haben. Neben zahlreichen Kirchen, Kapellen, Wegkreuzen und Bildstöcken gibt es Aussichtspunkte, hübsche Ortschaften und verlockende Einkehrmöglichkeiten.
Sehenswert sind zum Beispiel auch die ehemalige Prämonstratenserabtei Rommersdorf – heute Sitz der Abtei Rommersdorf-Stiftung und des Lokals "Orangerie Pasquale Montemurri" – und das Schloss Arenfels, Wahrzeichen Bad Hönningens. Mit seinen 365 Fenstern, 52 Türen und 12 Türmen nennt man es auch "Jahresschloss". Im neugotischen Stil umgebaut wurde es im 19. Jahrhundert vom ehemaligen Kölner Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner.
Wichtiger als solche touristischen Höhepunkte ist dem Martinsweg-Team allerdings der spirituelle Charakter des Pilgerwegs. "Die Erfahrungen und Begegnungen unterwegs können eine besondere Bedeutung gewinnen", wissen die Mitglieder und bieten auf der Internetseite diverse Texte an, die genau dazu anregen wollen und Hilfen geben, damit dies gelingt: vom Pilgersegen über Gedanken zu "Wegthemen" wie zum Beispiel An- und Abstiegen oder Kreuzungen bis hin zu zahlreichen Impulsen entlang des Lebenslaufs des heiligen Martin. Unterwegs sind diese an verschiedenen Stationen auch über QR-Codes abrufbar.
"Als innere Reiseroute wird der Pilgerweg noch interessanter, wenn ich mich etwas darauf vorbereite", sagt Volker Collinet, und langsam dämmert mir, warum sich bei mir erst an dem "Wanderer – vergiss den nicht ..."-Kreuz ein Pilgergefühl eingestellt hat.
Neben dem Planen der "Äußerlichkeiten" wie Strecke, Pausen, Verpflegung und Kleidung "ist es genauso wichtig zu bestimmen, warum ich diese Wegstrecke gehen will", so der Pastoralreferent. Wer geistliche Erfahrungen machen wolle, müsse seine Gedanken und Gefühle genauso einrichten und empfangsbereit machen wie sein Mobiltelefon. "Die richtigen Einstellungen führen zu besseren Ergebnissen und machen mehr Freude."
Ausprobieren lohnt sich!
KATHRIN BECKER